Evangelium und Kirche
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Fassadenmalerei: Luther war hier

Luthers mutiger Auftritt in Worms

Vor 500 Jahren stand der Wittenberger Theologe Martin Luther in Worms vor Kaiser Karl V. Der verlangte einen Widerruf.

Lesen Sie hier Informationen zu diesem denkwürdigen Moment der Reformation, zusammengestellt von Manfred Schütz. EuK-Informationen 1/2021

 

Wie kam es zu Luthers Auftritt auf dem Wormser Reichstag? Luther beschreibt seine Sicht darauf später im berühmten „Rückblick“ von 1545 (gedacht als Einführung in die lat. Gesamtausgabe seiner Werke): Nun denn, als im Jahr 1517 in diesen Gegenden Ablass verkauft – ich wollte sagen: verkündigt – wurde um schändlichen Geldgewinns willen, da war ich Prediger, und, wie man sagt, ein junger Doktor der Theologie und fing an, den Leuten abzuraten … Alsbald schrieb ich zwei Briefe, einen an den Mainzer Erzbischof Albrecht … den anderen Brief an meinen Ordinarius loci, wie man das nennt, den ortszuständigen Bischof …

 

Luther will eine Klärung der umstrittenen Ablasspraxis herbeiführen, … doch der arme Mönchsbruder fand nur Verachtung. Ich, keiner Beachtung gewürdigt, gab ein Disputationsplakat und gleichzeitig eine deutsche Predigt über den Ablass heraus, und bald auch Erläuterungen dazu … Das hieß allerdings den Himmel zum Einsturz bringen … Ich werde … angeklagt (Text bei M. Deuschle (Hg.), Martin Luther. Ausgewählte Texte, S. 134).

 

Seit Frühjahr 1518 droht Luther damit eine Verhaftung. Oder Schlimmeres. Diese Dinge tragen sich im Jahre 1518 zu, während Maximilians Reichstag zu Augsburg abgehalten wurde, auf dem als Legat seitens des Papstes Kardinal Cajetan tätig war. Es kommt zum Verhör durch Cajetan, worüber Luther in seinen „Acta Augustana“ berichtet.

 

In seinen theologischen Studien ringt Luther einerseits mit dem Bild von Gott als strengem Weltenrichter sowie dem kirchlichen Ablasshandel.

So siehe nun hier zumal in meinem Fall, wie schwierig es ist, sich aus Irrtümern herauszuwinden und zu befreien, die durch das Vorbild der ganzen Welt verfestigt und durch lange Gewöhnung gleichsam in Natur verwandelt sind. Wie wahr ist doch das Sprichwort: „Gewohntes zu lassen ist schwer.“ … Inzwischen war ich in diesem Jahr bereits wieder zum Psalter zurückgekehrt, um ihn ein zweites Mal auszulegen, im Vertrauen darauf, dass ich jetzt dafür geübter wäre, nachdem ich die Briefe des Paulus an die Römer und Galater ... in Vorlesungen behandelt hatte. Ein ganz ungewöhnliches Verlangen hatte mich gepackt, Paulus im Römerbrief zu verstehen … Bis ich dank Gottes Erbarmen, unablässig darüber nachdenkend, auf den Zusammenhang der Worte [bei Röm 1,17] aufmerksam wurde …

(Lesen Sie weiter in: Barmherzigkeit als Tor zum Paradies)

Aus Drohbotschaft wird Frohbotschaft: Statt Gott als strengen Richter entdeckt Luther die Barmherzigkeit. Da begann ich, die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen als die, durch die als durch Gottes Geschenk der Gerechte lebt …: Durch das Evangelium werde Gottes Gerechtigkeit offenbart, nämlich die passive, durch die uns der barmherzige Gott gerecht macht durch den Glauben …. Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu neu geboren und durch geöffnete Tore in das Paradies selbst eingetreten.

… Durch solche Erwägungen besser gerüstet, begann ich den Psalter zum zweiten Mal auszulegen. Und diese Arbeit wäre zu einem großen Kommentar angewachsen, wenn ich nicht erneut durch den Reichstag Kaiser Karls V. im darauffolgenden Jahr nach Worms vorgeladen worden und so gezwungen gewesen wäre, das begonnene Werk liegen zu lassen.

„Die heutige Bedeutung von Gewissen geht wesentlich auf Martin Luther zurück“, heißt es bei Wikipedia. Und das stimmt. Bei klexikon.de ist zu lesen: „Im Deutschen verwenden wir das Wort vor allem seit Martin Luther.“ Das gilt auf drei Ebenen: Schon 1. auf der sprachlichen Ebene – begriffsgeschichtlich – hat wesentlich Luther das Wort eingebürgert und verankert (Martin Honecker). In seinen Schriften, die ja das Neuhochdeutsche mitgeprägt haben (man schaue nur zum Wortschatz gelegentlich in das Wörterbuch der Brüder Grimm, ebenfalls online), sind Trost und Befreiung des Gewissens ein oft wiederkehrendes Thema. Früh schon findet es sich herausgehoben als Titel, z.B.: „Zur Erforschung der Wahrheit und zur Tröstung der geängsteten Gewissen“ (1518). Immer wieder betont der Wittenberger Seelsorger, wie wichtig die Aufrichtung der Gewissen, Gewissensunterrichtung, die Gewissensbildung ist – nicht zufällig ist das Wort „Gewissensbisse“ eine Wortbildung Luthers.

Er setzt außerdem 2. inhaltlich Akzente: Luther geht es um das – durch das evangeliumsgemäße, freisprechende Wort – befreite Gewissen. Und schließlich setzt er 3. durch den Auftritt in Worms mit der Berufung auf Schrift, Vernunft und Gewissen der individuellen Gewissensverantwortung ein geschichtsmächtiges Denkmal.

Seine Widerrufsverweigerung in Worms wird zum ikonischen Augenblick der fakten- und textgesättigten Berufung eines Einzelnen auf das an eine höhere Instanz gebundene Ich. Durch seine vielfach gedruckte Wormser Rede verbreitete sich dieser „Ruf des Gewissens“ auch literarisch.

Luther war nicht der erste und einzige, der Missstände in der Kirche anprangerte. Schon in der Zeit vor ihm gab es Versuche zu „Reformkonzilen“ sowie die Forderung nach einer „Reform der Kirche an Haupt und Gliedern“ (Reformatio Sigismundi, 15. Jh.), wie das auch inszeniert ist auf dem Reformationsdenkmal in Worms, wo verschiedene Vorläufer, Wegbereiter und Mitstreiter um Luther mit der Bibel in der Hand herum dargestellt sind.

Reformatio meint für Luther die Rückführung der Kirche in den Zustand der noch unverfälschten Urkirche.

Faktencheck mit Prof. Dr. Athina Lexutt

Prof. Dr. Athina Lexutt (Kirchen- und Theologiegeschichte) war so freundlich, auf fünf – zugegeben – etwas schubladenartige Fragen zu antworten.

 

1. War Luther ein Kirchenrebell?

Luthers Ringen um die Wahrheit hatte Konsequenzen für die sichtbare, institutionalisierte Kirche, denn sie stand auf einem anderen Fundament als dem, das er aus der Schrift herauslas.

Sein theologischer Kampf war darum aber keine Rebellion, sondern das Zeugnis und Bekenntnis zu dem, was ihm um Gottes und der Menschen willen zu sagen wichtig war.

 

2. Hat Luther Gewissen befreit?

Nicht Luther hat Gewissen befreit, sondern das an Gott und sein Wort gebundene Gewissen hat er all denen verkündet, deren Gewissen durch Gelübde, Gebotserfüllung, blinden Obrigkeitsgehorsam usw. gefangen waren. Das Gewissen als Ort der Erfahrung von Gesetz und Evangelium und also als Ort der personalen Gottesbegegnung ist in dieser Gebundenheit zugleich frei gegenüber allen Autoritäten, aber nur insofern, als es um Fragen des Glaubens geht!

 

3. Hat Luther Angst vor Gott durch Liebe und Vertrauen ersetzt?

Er hat den richtenden Gott als den gnädigen wiederentdeckt, der mit uns in doppelter Weise ins Gericht geht: Er wird uns schonungslos alles vorhalten, worin wir gefehlt haben – aber er lässt uns nicht allein, geht mit uns. Wenn es etwas ist mit Gottes im Kreuz Christi unübertroffen manifestierten Zusage, dann wird die auch im Gericht gelten. Diesem Gott darf man vertrauen, man muss keine Angst vor ihm haben. Aber Respekt und Ehrfurcht schon. Daher: ihn „fürchten und lieben“.

 

4. Ist Worms 1521 ein Wendepunkt, eine Schlüsselszene der Theologie-Geschichte?

Für die Kirchengeschichte gewiss. Es war für den Gang der Reformationsgeschichte ein entscheidender Moment, dass Luther nicht widerrufen hat. Für die Theologiegeschichte ebenso, weil Luther das Gewissen zur alleinigen Entscheidungsdistanz proklamiert und damit die Autoritätenfrage endgültig gegen alle traditionellen Angebote (Papst oder Konzilien oder mystische Vereinigung oder logische Schlüsse nach wissenschaftlichem Disput) entschieden hat.

 

5. Wurde Luther erst auf der Wartburg 1521/22 zum Kirchenreformator?

Nachdem der Bruch mit den Altgläubigen unumkehrbar war, hat die Reformation in dieser Zeit im Blick auf die praktische Umsetzung Fahrt aufgenommen. Luther selbst hat mit seiner Übersetzung des Neuen Testaments – nicht die erste überhaupt, aber die erste aus dem griechischen Original und mit neuen Wortschöpfungen – Wichtiges geleistet.

Aber das, was „Reformation“ im theologischen Kern ist, das ist spätestens (!) 1520 abgeschlossen.

 

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Erneuerung durch die Urtexte

Worum ging es für Luther in Worms?

Darauf lässt sich am Beispiel von drei gewichtigen Briefen an den Papst, den Kaiser und an Kurfürst Friedrich eine Antwort geben. Luther zeigt, dass es ihm um eine Reformation der Kirche aus dem Geist der biblischen Urtexte zu tun ist, dass der Weg dorthin nur durch das überzeugende, die Herzen gewinnende Wort, nicht aber durch Zwang führen kann – und dass er jederzeit bereit bleibt, sich durch inhaltliche Argumente Fehler in der Auslegung der Schrift nachweisen zu lassen.

 

Als Luther im Herbst 1520 die päpstliche Bannandrohungsbulle erhält, finden parallel noch Vermittlungsgespräche mit dem päpstlichen Gesandten Karl v. Miltitz statt. Durch ihn angeregt lässt Luther als Angebot und Geste guten Willens einen Sendbrief an Papst Leo X. ausgehen und verfasst als Gesprächsbasis dazu eigens eine kleine Schrift (Von der Freiheit eines Christenmenschen), die er dem Schreiben beifügt. Als Kurzfassung findet Luther dabei mit „Glaube und Liebe“ eine Formel, wie er sie dann zeitlebens beibehält: „Glaube und Liebe ist das ganze Wesen eines christlichen Menschen.

Der Glaube empfängt, die Liebe gibt. Der Glaube bringt den Menschen zu Gott, die Liebe bringt ihn zu den Menschen. Durch den Glauben lässt er sich wohltun von Gott, durch die Liebe tut er wohl den Menschen.“ (EG S.501, vgl. WA 7,38,6ff u.ö.) Bereits im Sendbrief kündigt Luther an, dass er nicht widerrufen würde, zeigt sich aber bereit, dem Papst wie dem Kaiser alle Reverenz zu erweisen, und vergleicht seine eigene, auch sehr scharfe Kritik an den Missständen der Zeit mit der ebenfalls sehr scharf vorgetragenen Kritik z. B. der alttestamentlichen Propheten oder eines Bernhard von Clairvaux (12. Jh.; Anm. 1)

 

Ganz auf dieser Linie argumentiert Luther dann in seiner Rede am 18. April 1521 in Worms, „denn ich werde, wenn ich belehrt worden bin, bereit sein, jeden Irrtum zu widerrufen“. „sine vi, sed verbo – ohne Gewalt, allein mit dem Wort“ (Confessio Augustana, 1530)

Ein zweites Beispiel ist das Schreiben, das Luther kurz nach der Abreise aus Worms an Kaiser Karl formuliert, in dem er sich trotz der Wormser Ereignisse weiter bereit erklärt, sofort zu widerrufen, wenn ihm dafür nur inhaltliche Gründe genannt werden. (Luther an Kaiser und Reichsstände, dt.: WABR Bd. 2, 310-318, vom 28.4.1521) Und schließlich kommt diese Position im Brief an Kurfürst Friedrich den Weisen zum Ausdruck, wenn er kurz vor Wiedereintreffen in Wittenberg 1522 schreibt: „Dieser Sache soll noch kann kein Schwert raten oder helfen, Gott muss hier allein schaffen, ohne alles menschliche Sorgen und Zutun.“ Was macht Luther als erstes in Wittenberg? Er stellt sich auf die Kanzel, agiert mit dem Wort. In seinen Predigten, mit denen er die Entwicklung in ruhigere Bahnen lenkte, erinnert er die Gemeinde daran, wie sie die „Hauptstücke eines christlichen Menschen“ gehört haben: „wie das ganze Leben und Wesen sei Glauben und Lieben“. „Dennoch soll die Liebe hier nicht zu streng verfahren“ und die Leute gewaltsam „an den Haaren“ mitreißen versuchen. Denn hier muss neben dem Glauben auch Geduld sein und Rücksicht auf die noch „schwachen Gewissen“. „Darum soll man das Wort frei lassen ...“ „Summa summarum: Predigen will ich‘s, sagen will ich‘s. Aber zwingen, mit Gewalt dringen will ich niemanden“. „Nehmt ein Beispiel an mir. Ich bin dem Ablass … entgegengetreten, aber mit keiner Gewalt, ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich wittenbergisch Bier mit meinem Philipp Melanchthon ... getrunken habe, soviel getan … Ich habe nichts gemacht, ich habe das Wort handeln lassen.“ (Invocavitpredigten 152; Anm. 2)

 

Für Luther ging es, in Worms wie danach, um das die Herzen neumachende Wort, das die Welt erneuert. Er gibt damit ein Beispiel, wie diese immer wieder nötige Re- und Transformation auf evangeliumsgemäße Weise vonstatten gehen möchte. Die reformatorischen Schlagworte solo verbo, sola scriptura – „allein durch das Wort, allein durch die Schrift“ – meinen ein Maßnehmen an der als Massstab verstandenen Situation und an dem Vorgehen der Urkirche: so wie es sich aus eben diesen Schriften der Anfangszeit ablesen lässt (Anm. 3). Daher auch die große Bedeutung der BibelÜbersetzung für Luther und die Reformatoren.

(Zum Ablauf der Ereignisse im Einzelnen vgl. die kompakte Luther-Biografie auf den Sonderseiten der Jubiläums-Lutherbibel von 2017.)

 

Manfred Schütz

 

 

Anmerkungen:

1| Luther wartet dann genau ab, bis die errechnete 60-Tagesfrist der Androhungsbulle verstrichen ist, der verordnete Ausschluss also formal in Kraft trat, dann (erst) erklärt er in einer kleinen Gegeninszenierung vor dem Wittenberger Elstertor, dass er einen solchen Ausschluss nicht als wirksam ansehen kann.

2| In: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von G. Ebeling und K. Bornkamm, Insel 2016, Bd. 1.

3| Vgl. dazu auch den Beitrag Seite 11.

 

 

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