Evangelium und Kirche

Bericht von der Landessynode Frühjahr 2023

Foto: Gottfried Stoppel

Nicht jede Entscheidung fiel leicht. (Foto: Gottfried Stoppel)

 

EuK-Bericht als PDF

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EuK-Synodalbericht Frühjahr 2023 (3 MB)

 

Die Frühjahrstagung der Landessynode im März 2023

EuK berichtet:

Pfarrplan, Bischofsbericht, Finanzplanung und mehr

Text: Christoph Schweizer / Fotos: Gottfried Stoppel, elk-wue.de

25 % weniger Pfarrstellen 2030: Die Frühjahrssynode 2023 hat einen schweren Beschluss gefällt.

 

Pfarrplan

Thorsten Volz (EuK) aus dem Ausschuss Kirche- und Gemeindeentwicklung hält das Votum zum PfarPlan 2030.

Der schwerste Beschluss zu Beginn: Die Landessynode hat bei ihrer Sitzung am 24. und 25. März beschlossen, dass in der württembergischen Landeskirche bis zum Jahr 2030 jede vierte Pfarrstelle wegfällt. Ursache ist vor allem der Mitgliederrückgang, sagte die Personaldezernentin des Oberkirchenrates, Kathrin Nothacker, in ihrem Bericht zum Pfarrplan. Dieser habe demografische Gründe, in den vergangenen vier Jahren seien aber auch die Austrittszahlen stark gestiegen.

Nothacker zufolge hat sich bei den Planungen gezeigt, dass die Prognosen des Oberkirchenrats relativ genau die tatsächliche Entwicklung vorhergesagt hatten.  Die Oberkirchenrätin sagte: „Wir müssen uns ehrlich machen: Alle unsere Versuche in den letzten Jahrzehnten, den beschriebenen Entwicklungen entgegenzutreten, waren leider nur von bescheidenem Erfolg geprägt.“

2030 soll es in Württemberg noch 900 Stellen im Gemeindepfarrdienst geben und 178 im Sonderpfarrdienst, wie Krankenhausseelsorger oder Asylpfarrerinnen. Die Zahl der Kirchenmitglieder pro Pfarrerin oder Pfarrer, die sogenannte Pastorationsdichte, werde in den kommenden sieben Jahren von derzeit knapp 1.500 auf rund 1.800 ansteigen, danach wieder deutlich abnehmen.

Trotz weniger Pfarrstellen könnte es für die Landeskirche schwierig werden, alle Stellen zu besetzen. Denn in den kommenden Jahren gehen viele Pfarrerinnen und Pfarrer der Babyboomer-Generation in den Ruhestand, bis zu 120 jährlich. Dem stehen durchschnittlich 46 Neuaufnahmen pro Jahr in den Pfarrdienst gegenüber. Die Zahl der Theologiestudierenden in Württemberg sei im Gegensatz zu vielen anderen EKD-Landeskirchen stabil. Mit Theologie-Masterstudiengängen in Heidelberg, Marburg, Greifswald und Tübingen für Menschen aus anderen Berufen und mit der der berufsbegleitenden Ausbildung im Pfarrdienst von kirchlichen Mitarbeitenden gebe es bereits alternative Zugänge zum Pfarrdienst. 

Um die Stellenreduzierung abzufedern, beschloss die Synode unter anderem „Transformationsstellen“ auf Dekanatsebene. Die Landessynode hatte bereits im Herbst 2022 eine um 64 Stellen höhere Zielzahl für den Pfarrplan 2030 gefordert. Der Oberkirchenrat sei nun, nach intensiven Gesprächen mit dem Synodenausschuss für Kirchen- und Gemeindeentwicklung (KGE), „der gemeinsamen Verantwortung für die Landeskirche wegen“ zu dem Schluss gekommen, 42 zusätzliche Stellen einzuplanen, sagte Nothacker.

Und so geht es weiter mit dem Pfarrpan: Im Anschluss an die Synode werden die Zielzahlen für die Kirchenbezirke bekannt gegeben. Diese verteilen dann die zur Verfügung stehenden Stellen in ihren Pfarrplan-Sonderausschüssen. Deren Ergebnisse werden 2024 von der Landessynode beschlossen.

 

Volz: Epochale Veränderung

„Zusammen mit dem noch nicht überall umgesetzten Pfarrplan 2024 und dem Pfarrplan 2030 kommt es zu einer epochalen Veränderung dieser Kirche in allen Bereichen“, sagte der Synodale Thorsten Volz im Votum für unseren Gesprächskreis Evangelium und Kirche. Innerhalb von zwölf Jahren würden insgesamt 35,33 Prozent oder knapp 500 Pfarrstellen reduziert. „Ein einfach weiter so geht nicht mehr“, so Volz. Das Ziel des Pfarrplans, eine zuverlässige Personalplanung zu ermöglichen, müsse erhalten werden. Ein zu viel an Vakaturen gelte es zu vermeiden, und die offenen Stellen müssten gleichmäßig in der Landeskirche verteilt sein. Volz, der in Sulz am Neckar Gemeindepfarrer ist und die Sorgen des ländlichen Raumes kennt, sagt: „Wir wollen, dass der Pfarrdienst in der Fläche präsent bleibt. Offene, nicht besetzte Pfarrstellen belasten die Pfarrerinnen und Pfarrer in der Umgebung und die betroffenen Gemeinden.“

Es müsse klar sein, dass alle verbleibenden Gemeindepfarrstellen eine reale Chance haben, besetzt zu werden. „Wir sind es den jetzt jungen Kolleginnen und Kollegen schuldig, dass sie mit der Zukunft sicher planen können, was auf sie zukommt“, sagte der Synodale, und fuhr fort: „Stichwort junge Kolleginnen und Kollegen: Wir haben zwar in der Herbstsynode leidenschaftlich über neue Zugänge zum Pfarramt debattiert, sind aber nicht viel weitergekommen, die Attraktivität des Pfarrberufes zu erhöhen. Und was helfen Zugänge, wenn der Beruf als solcher nicht attraktiv ist?“

Deshalb stelle Evangelium und Kirche in der Synodaltagung eine Reihe von Anträgen, die den Pfarrberuf attraktiver machen und Maßnahmen zur Abfederung des Pfarrstellenrückgangs in den Mittelpunkt rücken. So müsse der Pfarrdienst durch Flexibilisierung von Regelungen und unterstützende Maßnahmen entlastet und gefördert werden. Die EuK-Anträge zielten auf den Einsatz von Ruhestandskolleginnen und -kollegen, weitere Einsatzmöglichkeiten im Religionsunterricht, eine flexible Handhabung von Teilzeitaufträgen und Residenzpflicht, die Unterstützung von Partnerinnen und Partnern von Pfarrpersonen sowie die Öffnung der berufsbegleitenden Ausbildung ins Pfarramt. „Nur unter der Voraussetzung, dass durch diese Maßnahmen auch künftig genügend Pfarrpersonen gefunden werden können, können wir einer Erhöhung der Zielstellenzahl zustimmen“, sagte Thorsten Volz. Er will die Gemeinden „ermutigen, zusammen mit den Pfarrerinnen und Pfarrern Strukturen und Dienstaufträge nicht nur leidlich anzupassen, sondern neu zu denken“. Das Schlagwort Regio-Lokalität müsse mit Leben gefüllt, „alte Zöpfe abgeschnitten und mutig neugestylt werden“.

Außerdem solle, anders als bei früheren Pfarrplänen, auch darauf geschaut werden, „dass der Pfarrdienst langfristig finanzierbar bleibt“. Es sei „fahrlässig, die Zahlen des über Jahrzehnte zuverlässigen Instruments der Pfarrstellenzielplanung punktuell zu ignorieren, weil man die harten Fakten nicht wahrhaben will“. Die Mehrheit des Gesprächskreises Evangelium und Kirche spreche sich deshalb für nur 30 zusätzliche Stellen aus, da deren Finanzierbarkeit geprüft sei. „Weitergehende Erhöhungen hebeln den seriösen Pfarrplan aus und gehen zu Lasten späterer Generationen.“ Volz wünscht sich „eine attraktive Kirche mit Pfarrerinnen und Pfarrern und Ehrenamtlichen, die trotz der nötigen Strukturanpassungen den Schwung und die Freude und Energie ausstrahlen, die der besten Botschaft der Welt entspricht. Und das auch noch in 40 Jahren, wenn die Neuen in Ruhestand gehen.“

„Der Pfarrplan ist notwendig und unausweichlich“, sagte der EuK-Synodale Dr. Harry Jungbauer in der Aussprache. Mit dem Pfarrplan „muten wir den Gemeinden und Pfarrinnen und Pfarrern sehr viel zu“. Der Versuch von zahlreichen Synodalen, bei der vergangenen Tagung im Herbst 2022 über eine erhöhte Zielstellenzahl den Pfarrplan abzufedern und alternative Zugänge in den Pfarrdienst zu stärken, habe einen „Geburtsfehler“ gehabt. Die Anträge seien damals ohne die Beteiligung der Fachausschüsse und damit auch ohne solide Berechnung direkt beschlossen worden. Mit einer Reihe von Anträgen, die nun in die Fachausschüsse verwiesen werden, wolle Evangelium und Kirche diese Fehler korrigieren helfen. „Wir wollen uns nicht verweigern, aber den Übergang sachgerecht gestalten“, sagte Dr. Jungbauer. Er wies zudem darauf hin, dass der Pfarrplan nicht nur in der Gemeindearbeit, sondern auch im Schuldienst für Lücken sorgen werde, dabei ginge mehr als 25 Prozent verloren, weil größere Gemeindestellen für geringere Religionsunterrichts-Deputate sorgen.  Und der EuK-Synodale Anselm Kreh sagte: „Ich habe Bauchweh, ich sehe die Finanzierung nicht.“

 

Pfarrdienst: Ausbildung und Zugänge

EuK stellt viele konkrete Anträge zur Steigerung der Attraktivität und Ausbildung des Pfarrberufs. (Foto: Gottfried Stoppel)

Unser Gesprächskreis Evangelium und Kirche brachte verschiedene Anträge rund um den Pfarrdienst in die Synode ein. Die Anträge wurden in die synodalen Ausschüsse verwiesen.

 

Dr. Harry Jungbauer brachte den Antrag 3/23 ein: „Der Oberkirchenrat wird gebeten, zu prüfen, inwieweit die bisherige berufsbegleitende Ausbildung ins Pfarramt, die sich im Wesentlichen auf die Weiterqualifizierung kirchlich angestellter Personen bezieht, auf Angehörige anderer Berufsgruppen ausgeweitet werden kann.“ Es soll auch geklärt werden, „welche Anforderungen an die Vorkenntnisse im Bereich kirchlicher Arbeit, an die Schulbildung sowie an die berufliche Qualifikation von Bewerberinnen und Bewerbern gestellt werden müssen“ und inwieweit „Modelle anderer Landeskirchen wie das Modell der Pfarrverwalterin / des Pfarrverwalters in der bayrischen Landeskirche in unsere Württembergische Landeskirche übernommen werden kann.

 

Von Dr. Harry Jungbauer kam auch der Antrag 4/23: „Der Oberkirchenrat wird gebeten, in einer Pilotphase zu untersuchen, ob eine professionelle Unterstützung der Arbeitsplatzsuche von Partnerinnen und Partnern von Pfarrpersonen dazu führt, dass angehende Pfarrerinnen und Pfarrer eher in den Pfarrdient eintreten bzw. im Pfarrberuf bleiben bzw. Stellenwechsel auch in den ländlichen Raum sowie die Besetzung von Führungspositionen besser gelingen.“

 

Dr. Harry Jungbauer stellte schließlich noch den Antrag 5/23: „Der Oberkirchenrat wird gebeten, […] ein Kompetenzraster offen zu legen, das beschreibt, welche Kompetenzen und Befähigungen im Regelfall nötig sind sowie als Mindestmaß von Theologinnen und Theologen gefordert werden, die das Pfarramt in der Württembergischen Evangelischen Landeskirche anstreben und in den Vorbereitungsdienst (Vikariat) aufgenommen werden sollen.“

 

Renate Schweikle brachte den Antrag 6/23 zur Unterstützung im Pfarramt durch emeritierte Pfarrerinnen und Pfarrer ein, zum Beispiel für „die vertretungsweise Versehung von Gottesdiensten zur Trauung und Bestattung, von Religionsunterricht aller Schularten sowie von Konfirmandenunterricht“. Dabei soll „eine angemessene Aufwandsentschädigung festgelegt“ werden, und die Kolleginnen und Kollegen im Ruhestand, die regelmäßig zu Vertretungsdiensten bereit sind, sollen „den Zugang zum elkw-Netz, den dienstlichen PC sowie das Abonnement von a und b in vollem Umfang“ behalten. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen werden befristete Vertretungen durch die starken Emeriti-Jahrgänge erleichtert, wertgeschätzt und motiviert. Dabei sollen die Vertretung suchenden Aktiven nicht die Rolle von Bittstellern einnehmen müssen.

 

Thorsten Volz stellte den Antrag 8/23: „Der Oberkirchenrat wird gebeten durch weitere Flexibilisierungsmaßnahmen eine Steigerung der Attraktivität des Pfarrdienstes herbeizuführen.“ Dabei soll „Modelle entwickelt werden, wie durch Schaffung von zusätzlichen kirchenbezirksbezogenen Pfarrstellen eine Flexibilisierung der Teilzeitregelungen und Aufteilungsmöglichkeiten im Gemeindepfarrdienst ohne Verlust der Pfarrstelle ermöglicht werden kann“, das Pfarrerdienstgesetz „soll hinsichtlich der Residenzpflicht (§ 38) durch eine neu zu gestaltende Form der Präsenz und Erreichbarkeit von Pfarrpersonen ergänzend flexibilisiert werden.“ Sein Antrag habe das Ziel, “dass der Pfarrberuf dem gesamtgesellschaftlichen Wandel hin zu einer mobileren, pluralistischeren, flexibleren Gesellschaft der Postmoderne Rechnung trägt […]. Die Bedürfnisse und Forderungen der Arbeitnehmenden verändern sich markant. Flexible Arbeitsbedingungen werden besonders von den jungen Generationen erwartet.“

 

Amrei Steinfort stellte den Antrag 9/23: „Das Pfarrerdienstrecht soll hinsichtlich eines flexibleren Umgangs mit dem Deputat des Religionsunterrichtes überarbeitet werden. So soll es für Pfarrpersonen im Teildienstauftrag bzw. in Elternzeit möglich sein, auch über das eigene Deputat hinaus Religionsunterricht in allen Schularten gegen eine entsprechende Vergütung zu erteilen, wenn es gewünscht wird.

 

Eröffnungsgottesdienst macht Mut

Amrei Steinfort beim Eröffnungsgottesdienst (Foto: Gottfried Stoppel).

Zur Eröffnung der Frühjahrstagung feierten die Synodalen in der Stuttgarter Stiftskirche gemeinsam Gottesdienst, bei dem die EuK-Synodale und Schuldekanin Amrei Steinfort über Jesaja 54,7-10 predigte. „Der gehörte Predigttext nimmt das Thema Beziehung auf. Er nimmt uns mitten hinein in die besondere Beziehung Gottes zu den Menschen.“ Mit Blick auf die Lage der Kirche seien aber auch die Erfahrungen von Erschütterung, Wanken und Weichen nicht fern. „Wir haben Sorgen, die Verantwortung drückt uns, wir werden darüber streiten, was zu tun ist. Ich wünsche uns allen, dass wir so gestimmt Kirche gestalten, uns nicht von Erschütterungen und abnehmenden Zahlen entmutigen lassen. Dass wir Gott immer wieder beim Herzen packen – und uns freuen!“

 

Ernst-Wilhelm Gohls erster Bischofsbericht

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl: „Die Anliegen der jüngeren Kolleginnen und Kollegen müssen gehört werden.“ (Foto: Gottfried Stoppel)

In seinem ersten Bericht vor der Landessynode sprach Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl über aktuelle Herausforderungen der Landeskirche. Bei zahlreichen Antrittsbesuchen und Begegnungen habe er die Erfahrung gemacht, dass Menschen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft noch immer große Erwartungen an die Kirche haben. Die große Zahl an Kirchenaustritten verunsicherten andererseits viele Engagierte. Gohl plädiert für einen realistischen Blick auf die Situation und appelliert: „Lasst uns überlegen, wie wir mit unseren Kirchenmitgliedern besser ins Gespräch kommen und wie wir die frohe Botschaft in die Welt tragen.“

 

Viele Menschen in der technisierten und weitgehend säkularen Gesellschaft wünschten mehr denn je religiöse Erfahrungen. Gohl berichtete von der Begegnung mit einem frisch getrauten Paar in einer typischen „Hochzeitskirche“ bei Freudenstadt: „Damit Menschen auch in Zukunft in einer Kirche Hochzeit feiern können, braucht es viel: Pfarrerinnen und Pfarrer, die sie trauen, zu denen sie Vertrauen haben und die sich Zeit für sie nehmen. Es braucht Kirchengebäude. Es braucht Menschen, die Sorge für diese Gebäude tragen und Gemeinden. Sie sind das Herz des Christentums. Sie tragen. Sie bilden, sie geben Heimat.“ Die Fragen, die mit Pfarrplänen, Struktur- und Kürzungsdebatten in Gemeinden und Bezirken verbunden seien, „sind viel mehr als reine Strukturfragen. In all diesen Veränderungsprozessen brauchen wir in erster Linie Vergewisserung. Theologisch heißt das für mich: Unser Glaube und auch unsere Kirche lebt aus der Verheißung Jesu Christi.“

 

Das Berufsbild von Pfarrerinnen und Pfarrern müsse weiterentwickelt werden. „Gerade die Anliegen der jüngeren Kolleginnen und Kollegen müssen in diesen Weiterentwicklungsprozess stärker gehört werden“, ist Landesbischof Gohl überzeugt. Zur Weiterentwicklung des Pfarrdienstes gehöre auch die Diskussion um alternative Ausbildungs-Zugänge. Einerseits müssten EKD-weit geltende Ausbildungsstandards beachtet werden. Zu prüfen sei aber, ob Studienleistungen von freien theologischen Hochschulen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen angerechnet werden könnten.

 

„Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche, die Hilfe für die Betroffenen und der Schutz davor hat für die Kirche oberste Priorität“, sagte Ernst-Wilhelm Gohl. Seit 2022 gibt es das Gewaltschutzgesetz, das kirchliche Einrichtungen zur Einführung von Schutzkonzepten verpflichtet. Gohl nahm auch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Blick. Zum wiederholten Mal kritisierte er den Moskauer russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill. Er verrate das Evangelium, wenn er den Angriff Russlands theologisch rechtfertige.

 

Den Klimaschutz bezeichnete der Landesbischof als eine der „dringlichsten Aufgaben, die uns auch als Kirche aufgegeben sind“. Zwar werde die Kirche alleine das Weltklima nicht retten. Sie könne aber einen Beitrag leisten. Dafür stehe das neue Klimaschutzgesetz der Landeskirche, das zahlreiche Maßnahmen vorsieht, um bis 2040 klimaneutral zu werden. „Ohne Verzicht wird es nicht gehen. Zur Freiheit gehört auch Verzicht. Denn nur so sichern wir Freiheitsrechte anderer“, sagte Ernst-Wilhelm Gohl.

 

Philipp Jägle zum Bischofsbericht

Philipp Jägle fordert ein klares Ziel vor Augen der Verantwortlichen (Foto: Gottfried Stoppel).

„In Ihren Schlaglichtern zu Beginn wird von den Begegnungen der ersten Wochen im Amt gesprochen. Und man spürt die Freude daran, am Zuhören, am Gespräch auch an der Debatte. Gut, dass das so ist“, sagte der Synodale Philipp Jägle im Gesprächskreisvotum für Evangelium und Kirche nach dem Bericht. Aufhorchen lassen habe ihn die Ermutigung, Fehler zu machen, „in der Sie für eine Freiheit für Erprobung und Experimente werben“. So eine Freiheit sei tatsächlich nötig, „und nicht nur in ausgewiesenen Erprobungsräumen, als Kreativitätsreservaten, sondern in der Breite unserer Gemeinden.“ Dass dies möglich sei, „haben wir in den Herausforderungen der Pandemie erlebt. Da wurde landauf, landab so viel Neues einfach ausprobiert.“

Wenn Landesbischof Gohl die Gemeinden als „Herzkammern der Kirche“ bezeichne, brauche es mehr gemeinsames Nachdenken darüber, „wie wir uns Gemeinde vorstellen, was für uns die Essentials sind und welche Strukturen und Ressourcen Gemeinden brauchen, um so wesentlich Kirche sein zu können.“ Jägle weiter: „Bevor wir die Frage nicht geklärt haben, kommen wir mit dem Klärungsprozess Pfarrdienst auch nicht weiter.“

Jägle lobte Gohls Impuls, die alternativen Ausbildungszugängen ins Pfarramt zu stärken. „Die Lebensentwürfe sind heute vielgestaltiger, als wir uns das früher vorstellen konnten oder auch nur gedacht haben. Und wir brauchen Menschen, die sich von ihrer Kirche in den Dienst nehmen lassen.“ Benötigt würden aber auch „klare Qualifikationskriterien, um zu prüfen, ob eine Person von ihrer Ausbildung her für diesen Dienst geeignet ist.“

Vor allem aber brauchten die Verantwortlichen in der Landeskirche ein geklärtes Bild, ein „Ziel vor Augen“, wie der „neugeborene Kirchenleib“, der in den aktuellen Transformationen im Entstehen sei, aussehen könne. 

Dr. Harry Jungbauer ging in der Aussprache auf das Thema der zunehmenden Aggression und Gewalt in der Gesellschaft ein. Dies werde zwar im Bischofsbericht „nicht explizit benannt“, durchziehe ihn aber auf verschiedenen Ebenen: Aggressive Angriffe gegenüber der Kirche, die Aggression in der Ukraine, Mordfälle in unserer Gesellschaft, „die uns zum einen furchtbar sprachlos machen und worüber wir hier nicht einfach debattieren oder in irgendeiner Form Lösungen anbieten können. Was wir können, ist, dass wir als Kirche für die Gemeinden einmal zusammenrechnen können, was wir in diesem Bereich gegen diese Aggressivität tun können und was wir bereits schon machen“, so Dr. Jungbauer.

 

Kirchensteuerkraft sinkt

Foto: Gerd Altmann / pixabay

Zu den Herausforderungen für die Landeskirche gehören auch die Finanzen. Finanz-Oberkirchenrat Dr. Jörg Antoine berichtete, dass sich die Finanzen der Landeskirche momentan schlechter als erwartet entwickeln. Im Februar seien die Kirchensteuer-Einnahmen rund 13 Prozent unter dem Vorjahresmonat gelegen, sagte Antoine. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, drohten eine Haushalts- oder Stellenbesetzungssperre. Selbst bei nominell gleichbleibenden Steuereinnahmen könne die Landeskirche wegen der Inflation weniger Leistungen finanzieren. Bis 2027 werde die reale Kirchensteuerkraft auf 77 Prozent des Jahres 2021 sinken. Auch habe sich die Quote der Mitglieder, die aus der Kirche austreten, zwischen 2017 und 2022 verdoppelt, was ebenfalls Auswirkungen auf die Steuereinnahmen habe. Antoine erwartet, dass die jährlichen Kirchensteuereinnahmen in Württemberg von derzeit knapp 800 Millionen Euro trotz sinkender Mitgliederzahlen bis 2027 auf 840 Millionen steigen werden. Der Finanzdezernent empfiehlt der Landessynode, mehr für die Versorgung pensionierter Mitarbeiter zurückzulegen. Geschehe das nicht, müsste künftig ein großer Teil der Pensionsleistungen aus laufenden Haushalten finanziert werden. Aktuell seien nur 51,7 Prozent der Versorgungs- und Beihilfeverpflichtungen der Landeskirche durch entsprechende Rücklagen gedeckt. Damit gehöre Württemberg EKD-weit zu den Schlusslichtern. Das stelle eine unzumutbare Belastung für die Kirche von morgen dar, sagte er. Mit dem Ruhestandseintritt der „Babyboomer“ ab 2025 werde die Versorgungslücke zunehmend zahlungswirksam.

 

Soll die Kirchenverfassung geändert werden?

Foto: Gottfried Stoppel

Die Verfassung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist 100 Jahre alt geworden. Soll sie komplett überarbeitet werden, passt sie noch in die Zeit? Für diese Frage hatte die Landessynode bei ihrer Frühjahrstagung einen halben Tag reserviert. „Nach ihrer Verfassung ist die württembergische Landeskirche eine konstitutionelle Monarchie“, sagte die Pfarrerin und Kirchenhistorikerin Dr. Karin Oehlmann. Das sei eine Folge ihrer Entstehungszeit kurz nach dem Ende der Monarchie. Ortsgemeinden und Kirchenbezirke kämen in der Verfassung gar nicht vor.

 

Auch von Synoden-Gesprächskreisen ist in der Verfassung keine Rede. Im Jahr 1966 warb Synodalpräsident Oskar Klumpp für Arbeitsgruppen innerhalb der Synode, die sich je nach Thema immer wieder neu bilden. Sie sollten „freiwillig, offen, durchlässig und tolerant“ sein. Es kam anders: Nach den Studentenunruhen und der Politisierung gab es 1971 zur Synodalwahl einen regelrechten Lagerwahlkampf.

 

Kirchenhistorikerin Oehlmann, die in Württemberg geboren und heute in Düsseldorf Pfarrerin ist, griff Klumpps Vorschläge von 1966 wieder auf. Denn „die Aufgliederung in stark polarisierende Gruppen mit massiver Eigenidentität – die dann dazu führt, dass von Fall zu Fall nicht mehr das Beste für die Landeskirche, sondern die Vermittelbarkeit an die eigene Wählerschaft das Handeln eines Synodalen leitet – dies, so meine ich, ist nicht wirklich hilfreich und einer Synode, die sich als kirchliches Organ und nicht nur als Bundestag der Kirche versteht, nicht angemessen“.

 

Um also einerseits die Möglichkeit zu Arbeitsteilung und des kollegialen Austausches zu wahren, andererseits „die Untiefen der Parteilichkeit in einer quasi-fraktionierten Landessynode zu meiden“, könnte doch die württembergische Landessynode „mit jener Arbeitsweise Ernst zu machen, die Synodalpräsident Oskar Klumpp 1966 vorgeschlagen hat. Bilden Sie von Fall zu Fall neu Diskussionszirkel, Arbeitsgruppen, Campfires, wie auch immer Sie es nennen wollen, die vier Kriterien erfüllen: 1. freiwillig, 2. offen, 3. durchlässig, 4. tolerant.“ Die württembergische Synode könnte damit Maßstäbe setzen für die Arbeit in einem demokratisch-parlamentarischen Gremium, „das den Schattenseiten der parlamentarischen Arbeit entkommt, indem es sich das Streben nach Einmütigkeit auf die Fahnen schreibt. Ohne dabei zu negieren, dass es in einer vielfältigen Gemeinschaft eine Vielfalt und damit auch eine Konkurrenz von Meinungen gibt“, sagte Oehlmann.

 

Jürgen Kampmann, Professor für Kirchenordnung und Neuere Kirchengeschichte in Tübingen und Mitglied der Landessynode, warf in seinem Vortrag die Frage auf, ob die Synode gut beraten sei, die Verfassung unter großen Mühen komplett zu überarbeiten. Als Beispiele für modernere Kirchenverfassungen nannte er die in Mitteldeutschland und in der Nordkirche.

 

„Die beiden Vorträge haben mich begeistert, sie haben aber auch noch mal klar gemacht, worin die eigentliche Schwäche der Synode und unserer Arbeit besteht“, sagte Dr. Harry Jungbauer in der Aussprache. Ihm sei neu deutlich geworden, dass es nur eine einzige strukturelle Verbindung von Kirchenbasis zur oberen Leitungsebene mit Landessynode und Oberkirchenrat gebe, nämlich die Synodalwahl. Weitere Verbindungen von der Gemeindeebene in der Hierarchie nach oben sind nicht vorgesehen. Dies habe ihm „bewusst gemacht, wie fragil eigentlich unsere demokratischen Strukturen sind“. Jungbauer fragte: „Wie werden denn Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt? Es sind oft ganz wenige Leute in den Bezirken, die entscheiden. Wir haben eine Wahlbeteiligung von 20 bis 25 Prozent. Das ist die wahre Schwäche, die wir haben“, so Jungbauer. Und Amrei Steinfort sagte: „Wichtig ist in unserer synodalen Arbeit das Verbindende. Wir sind nicht in erster Linie unseren Gesprächskreisen verpflichtet, sondern dem Gemeinsamen.“

 

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